Paul Watzlawick – Vom Unsinn des Sinns oder vom Sinn des Unsinns

Die interessantesten Aussagen:

 

Die Erkenntnis, dass Wirklichkeiten immer Konstruktionen sind, gibt dem Individuum die Möglichkeit, frei zu sein, sich für eine Wirklichkeit zu entscheiden, sich diese selbst auszusuchen.

»Der Name ist nicht das Ding. Die Landkarte ist nicht das Land.« Nichtsdestoweniger sind wir alle uns dieser Sache kaum bewusst und verfallen auf denselben Fehler wie der Schizophrene, der die Speisekarte anstatt der darauf beschriebenen Speisen isst, sich dann über den schlechten Geschmack beschwert und schliesslich annimmt, dass man ihn vergiften will.

In allen Gesellschaftsschichten bestätigen Menschen einander in ihren menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, und eine Gesellschaft kann in dem Masse menschlich genannt werden, in dem ihre Mitglieder einander bestätigen. Die Grundlage menschlichen Zusammenlebens ist eine zweifache und doch eine einzige: der Wunsch jedes Menschen, von den anderen als das bestätigt zu werden, was er ist, oder sogar als das, was er werden kann, und die angeborene Fähigkeit der Menschen, seine Mitmenschen in dieser Weise zu bestätigen. Dass diese Fähigkeit so weitgehend brachliegt, macht die wahre Schwäche und Fragwürdigkeit der menschlichen Rasse aus. Wirkliche Menschlichkeit besteht nur dort, wo sich diese Fähigkeit entfaltet.

Allein schon die Entwicklungsgeschichte des Lebens auf unserem Erdball lehrt uns ein Besseres, denn die unerhörte Komplexität des Lebens entstand aus einfachsten Ausgangsbedingungen und in kleinsten Schritten. Wie wir wissen, waren alle grossen Wandlungen in der Evolution katastrophisch. Das Kleine ist möglicherweise bedeutender als das Grosse. Das ist für viele Weltbeglücker natürlich eine überaus schäbige Idee, mit der man die Massen nicht begeistern kann.

Mir ist in diesem Zusammenhang Heinz von Foersters ethischer Imperativ sehr wichtig. Er lautet: »Handle stets so, dass weitere Möglichkeiten entstehen.«

Unser grosser Philosoph Wittgenstein muss ähnliches im Sinn gehabt haben, als er im Tractatus schrieb: »Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht. Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt. Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfeld grenzenlos ist.«

Hierzu auch Victor Frankl: »Sich selbst verwirklichen kann der Mensch nur in dem Masse, in dem er sich selbst vergisst, in dem er sich selbst übersieht.« Mit einem Wort, die heute so viel zitierte Selbstverwirklichung ist nur zu haben um den Preis von Selbsttranszendenz. Ist es also so, dass der wahre Sinn sich nur dann offenbart, wenn wir ihn nicht mehr suchen? Wenn wir statt suchen gelernt haben, mit dem Suchen aufzuhören? Das ist für die meisten Menschen eine unvorstellbare Idee. Wir glauben ja immer, das Grossartige sei irgendwo da draussen zu erreichen. Es will uns nicht in den Sinn, dass gerade die Suche der Grund sein soll, dass wir nicht finden können.

»Schliesse die Augen, dann wirst du schauen. Brich deine Mauern, dann wirst du bauen. Lerne harren, dann wirst du gehen. Lasse dich fallen, dann wirst du stehen.«

Es ist die Geschichte von einem Vater, der mit seinem kleinen Sohn an einem sehr heissen Tag auf einer staubigen Landstrasse unterwegs ist. Der Vater führt den Esel, auf dem der Kleine reitet. Es kommt ihnen eine Gruppe von Menschen entgegen, und der Vater hört ihr Gespräch: »Schaut euch mal das an! Der Vater geht zu Fuss und der Bub sitzt auf dem Esel. Wie der Vater diesen Kerl verwöhnt! Was soll denn aus dem mal werden?« Als der Vater das hört, nimmt er den Sohn vom Esel herunter, steigt selbst auf, und sie gehen weiter. Da kommt wieder eine Gruppe daher, die sagt: »Schaut euch bloss mal das an. Er reitet und der Kleine muss an einem solch heissen Tag zu Fuss gehen. Hat er kein Mitleid mit dem Kind?« Daraufholt der Vater den Sohn zu sich auf den Esel. Nach einiger Zeit kommt ihnen eine dritte Gruppe entgegen, die spricht: »Zu zweit reiten sie auf dem armen Tier. Haben die kein Herz?« Darauf steigt der Vater ab, nimmt den Jungen vom Esel und beide beginnen, den Esel zu tragen. Es kommt eine weitere Gruppe aus der Gegenrich tung und … Ich überlasse es Ihnen, sich vorzustellen, was die sagen.

Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.«

Die Wirklichkeit erster Ordnung wäre also die direkte Wahrnehmung, die Wirklichkeit zweiter Ordnung ist dann eben die Zuschreibung von Bedeutung, Sinn und Wert.

Und Oskar Wilde sagt in »Lady Windermeres Fächer«: »Es gibt im Leben zwei Tragödien. Die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches. Die andere ist seine Erfüllung. Von den beiden ist die zweite die bei weitem tragischere.«

»Denn das Schöne ist nur des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen. Und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.«

Wer überhaupt keine Sorgen zu haben braucht, wie bei uns die jungen Leute, der wird wahrscheinlich äusserst unzufrieden leben, denn er wird nach einem Sinn suchen und wahrscheinlich annehmen, dass mehr Geld und mehr Luxus diesen Sinn erfüllen könnten.

An dieser Stelle möchte ich wiederum auf den Radikalen Konstruktivismus zurückkommen und die Untersuchung jener Prozesse, durch die wir unsere individuelle, familiäre, gesellschaftliche, politische, wissenschaftliche und ideologische Welt schaffen, dann aber naiverweise annehmen, dass die Welt wirklich so ist. Dass wir die Wirklichkeit nicht finden, sondern erfinden, ist für viele Menschen schockierend.. Und das Schockierende daran ist, dass wir – nach der Auffassung des Radikalen Konstruktivismus von der wirklichen Wirklichkeit (wenn es die überhaupt gibt) immer nur wissen können, was sie nicht ist. Im Zusammenbrechen unserer Wirklichkeitskonstruktionen erst erfahren wir, dass die Welt so nicht ist.

Dies ist eine auf den Alltag bezogene Paraphrase von Einsteins revolutionärer Einsicht, dass es^in der physikalischen Welt keine Gleichzeitigkeit ohne einen Beobachter gibt, der sie erschafft^

Für viele Menschen ist der Radikale Konstruktivismus unannehmbar, ja geradezu skandalös. Sie halten ihn für eine aufgewärmte Form des Nihilismus. Ich behaupte, wenn es Menschen gäbe, die wirklich zu der Einsicht durchbrächen, dass sie die Konstrukteure ihrer eigenen Wirklichkeit sind, würden sich diese Menschen durch drei besondere Eigenschaften auszeichnen. Sie wären erstens frei, denn wer weiss, dass er sich seine eigene Wirklichkeit schafft, kann sie jederzeit auch anders schaffen. Zweitens wäre dieser Mensch im tiefsten ethischen Sinn verantwortlich, denn wer tatsächlich begriffen hat, dass er der Konstrukteur seiner eigenen Wirklichkeit ist, dem steht das bequeme Ausweichen in Sachzwänge und in die Schuld der anderen nicht mehr offen. Und drittens wäre ein solcher Mensch im tiefsten Sinne konziliant.

Aber wir alle erleben gelegentlich kurze Momente, die irgendwie eine ganz besondere Bedeutung für uns haben können. Das Gesicht einer Katze. Oder die erste dünne Mondsichel am Abendhimmel. Oder ein Klavierkonzert. Ich glaube, das sind Wahrnehmungen oder Erlebnisse, in die wir nichts hineinlesen können, denn sie sprechen für sich. Wir sind plötzlich mit einer anderen Wirklichkeit als unseren Zuschreibungen von Wirklichkeit konfrontiert.

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