Es gibt das ewige, immer gegenwärtige eine Leben jenseits der Myriaden von Lebensformen, die Geburt und Tod unterworfen sind. Viele Menschen verwenden da für das Wort »Gott«; ich nenne es meist »Sein«, obwohl das Wort »Sein« ebenso wenig erklärt wie das Wort »Gott«. »Sein« hat allerdings den Vorteil, dass es ein offenes Konzept ist. Es reduziert das unendliche Unsichtbare nicht auf etwas Endliches. Man kann sich unmöglich eine gedankliche Vorstellung davon machen. Niemand kann einen Alleinanspruch auf das Sein geltend machen. Es ist dein Gegenwärtigsein an sich, und jeder hat durch das Gefühl der eigenen Gegenwart unmittelbaren Zugang dazu. Vom Wort »Sein« ist es nur ein kleiner Schritt zur Erfahrung des Seins.
Sich des Seins wieder bewusst zu werden und in diesem Zustand »fühlenden Erkennens« zu verharren ist Erleuchtung.
Das größte Hindernis für die Erfahrung dieser realen Verbundenheit ist die Identifikation mit dem Verstand, die das Denken zwanghaft werden lässt. Nicht mit dem Denken aufhören zu können ist ein Verhängnis, aber wir sind uns dessen nicht bewusst, weil fast jeder darunter leidet, sodass es für normal gehalten wird. Der unaufhörliche Lärm des Denkens verhindert jedoch, dass wir den Raum der inneren Stille finden, der vom Sein untrennbar ist. Durch den Lärm des Denkens entsteht auch das falsche, vom Verstand künstlich aufrecht erhaltene Selbst, das uns mit Angst und Leid überschattet
Bei richtigem Gebrauch ist der Verstand ein hervorragendes Instrument. Wird er jedoch falsch eingesetzt, kann er sich sehr zerstörerisch auswirken. Um genau zu sein: Du benutzt deinen Verstand eigentlich gar nicht falsch – du benutzt ihn überhaupt nicht. Er benutzt dich. Das ist die Krankheit. Du identifizierst dich mit deinem Verstand. Das ist die Täuschung. Das Instrument hat die Herrschaft über dich gewonnen
Während du dem Gedanken lauschst, spürst du gleichsam hinter oder unter dem Gedanken eine bewusste Gegenwart – dein tieferes Selbst. Der Gedanke verliert seine Macht über dich und schwindet dahin, weil du den Verstand nicht mehr durch deine Identifikation mit ihm bestärkst. Das ist der Anfang vom Ende des unfreiwilligen, zwanghaften Denkens. Wenn ein Gedanke verflogen ist, erlebst du eine Unterbrechung im Gedankenstrom – eine Lücke des Nichtdenkens. Zu Anfang werden diese Lücken vielleicht sehr kurz sein und nur ein paar Sekunden dauern, aber sie dehnen sich mit der Zeit aus. Wenn solche Lücken eintreten, empfindest du eine gewisse Stille und Frieden in deinem Innern. Dann ist der natürliche Zustand nahe, in dem du dich eins fühlst mit dem Sein, woran dich sonst das Denken hindert. Durch Übung wird das Gefühl von Stille und Frieden immer tiefer, unendlich tief. Und aus dem tiefsten Innern wirst du eine zarte Freude aufsteigen fühlen: die Freude des Seins.
Lausche auf die Stimme in deinem Kopf, sooft du kannst. Achte besonders auf wiederkehrende Denkmuster, diese alten Tonbänder, die womöglich schon jahrelang in deinem Kopf ablaufen. Mit dem »Beobachten des Denkers« meine ich im Grunde nichts anderes als dies: Höre auf die Stimme in deinem Kopf, sei dort als Zeuge gegenwärtig. Höre der Stimme unvoreingenommen zu, während du auf sie lauschst. Werte nicht. Beurteile und verdamme nichts von dem, was du hörst, denn damit würdest du der Stimme wieder ein Hintertürchen öffnen. Dir wird bald klar sein: Da ist die Stimme – und hier bin ich, höre ihr zu und beobachte sie. Das Erkennen des »Ich- bin«, dieses Gefühl deiner eigenen Gegenwart, ist kein Gedanke. Sein Ursprung liegt jenseits des Verstandes
Erleuchtung heißt, über das Denken hinauszugehen. Im Zustand der Erleuchtung machst du zwar bei Bedarf vom denkenden Verstand Gebrauch, aber viel zielgerichteter und effektiver als vorher. Frei vom zwanghaften inneren Dialog, benutzt du ihn vor allem für praktische Zwecke, und im Innern herrscht Stille.
Zum Verstand in dem Sinne, wie ich dieses Wort gebrauche, gehört nicht nur das Denken. Der Verstand umfasst ebenso die Emotionen wie auch alle unbewussten mental-emotionalen Reaktionsmuster. Emotionen oder Gefühle entstehen da, wo Verstand und Körper aufeinander treffen. Sie sind die körperliche Reaktion auf den Verstand – sozusagen eine Spiegelung des Verstandes im Körper.
Mache es dir zur Gewohnheit, dich zu fragen: Was geht in diesem Augenblick in mir vor? Diese Frage wird dir die richtige Richtung weisen. Aber analysiere nichts, beobachte einfach nur. Richte deine Aufmerksamkeit nach innen. Fühle die Energie der Emotion. Wenn keine Emotion da ist, solltest du deine Aufmerksamkeit noch tiefer in das innere Energiefeld deines Körpers lenken. Das ist das Tor zum Sein.
Erinnere dich nun daran, dass eine Emotion die Reaktion des Körpers auf den Verstand ist.
Der psychische Zustand der Angst steht mit keiner konkreten, echten, unmittelbaren Gefahr in Zusammenhang. Er äußert sich in unterschiedlichster Form: als Unbehagen, Sorge, Unruhe, Nervosität, Anspannung, Schrecken, Phobie usw. Diese Art von psychischer Angst ist nicht durch etwas begründet, was gerade geschieht, sondern durch etwas, das möglicherweise geschehen könnte. Du bist im Hier und Jetzt, während deine Gedanken in der Zukunft weilen. Dadurch entsteht eine Blase, die sich mit Angst füllt. Und wenn du dich mit deinem Denken identifizierst, sodass du die Berührung mit der Kraft und Einfachheit des Jetzt verlierst, wird diese angsterfüllte Blase dein ständiger Begleiter sein.
Selbst etwas so Triviales und »Normales« wie das zwanghafte Bedürfnis, bei einem Streit Recht zu behalten und dem Kontrahenten klar zu machen, dass er Unrecht hat – die Verteidigung der Geisteshaltung, mit der du dich identifizierst – ist durch die Angst vor dem Tod begründet. Wenn du dich mit einer geistigen Einstellung identifizierst und merkst, dass du im Unrecht bist, erhält dein Selbstgefühl, das sich auf dein Denken gründet, einen vernichtenden Schlag. Als Ego kannst du es dir also nicht leisten, Unrecht zu haben.
Sobald du aufhörst, dich mit deinem Denken zu identifizieren, spielt es für dein Selbstgefühl überhaupt keine Rolle mehr, ob du im Recht oder im Unrecht bist, und das starke, zwanghafte, tief unbewusste Bedürfnis, Recht zu behalten, das eine Form von Gewalt darstellt, ist wie weggeblasen. Dann kannst du klar und deutlich sagen, was du empfindest oder denkst, ohne dabei aggressiv zu werden oder eine Abwehrhaltung einzunehmen. In diesem Fall entspringt dein Selbstgefühl nicht deinem Denken, sondern einer tieferen Wahrheit in deinem Innern.
Achte auf jede Form von Abwehrhaltung in deinem Innern. Was verteidigst du eigentlich? Eine trügerische Identität, eine gedankliche Vorstellung, ein fiktives Gebilde. Indem du dir dieses Muster bewusst machst und es beobachtest, hörst du auf, dich mit ihm zu identifizieren. Im Licht der Bewusstheit löst sich das unbewusste Muster schnell auf.
Macht über andere ist als Stärke getarnte Schwäche. Wahre Macht kommt von innen
Wenn du dich mit deinem Denken identifizierst, gehst du der Zeit auf den Leim und gibst dem Drang nach, fast ausschließlich in Erinnerungen und Erwartungen zu leben. Dadurch bist du unentwegt mit Vergangenheit und Zukunft beschäftigt und nicht bereit, den gegenwärtigen Augenblick geschehen zu lassen, ihn anzunehmen und zu würdigen. Du erliegst dem unwiderstehlichen Drang, weil du deine Identität aus der Vergangenheit beziehst, während die Zukunft dir Erlösung verheißt, Erfüllung in irgendeiner Form. Beides ist eine Illusion.
Je stärker du dich auf die Zeit konzentrierst – auf Vergangenheit und Zukunft, umso mehr entgeht dir das Jetzt, das Kostbarste, was es gibt.
Nichts ist jemals in der Vergangenheit geschehen; es geschah im Jetzt. Nichts wird jemals in der Zukunft geschehen; es geschieht im Jetzt.
Durch Selbstbeobachtung kommt automatisch mehr Gegenwärtigkeit in dein Leben. In dem Augenblick, in dem dir bewusst wird, dass du abwesend bist, bist du wieder anwesend. Wann immer du in der Lage bist, deinen Geist zu beobachten, bist du ihm nicht länger verhaftet.
Lerne Zeit für die praktischen Aufgaben im Leben zu gebrauchen – wir wollen sie »Uhrzeit« nennen -, aber kehre immer sofort zur Präsenz im gegenwärtigen Augenblick zurück, wenn du deine Aufgaben erfüllt hast. Dann kann sich keine »psychische Zeit« ansammeln, also keine Identifikation mit der Vergangenheit mehr stattfinden, ebenso wie du aufhörst, ständig zwanghaft in die Zukunft zu projizieren.
Auf der Ebene des Denkens wirst du eine Menge Widerstand in Form von Urteilen, Unzufriedenheit und mentalen Projektionen antreffen, die dich vom Jetzt fernhalten. Auf emotionaler Ebene lauern unterschwellig Unbehagen, Anspannung, Langeweile und Nervosität. Beides sind Aspekte des Denkens in seinem gewohnheitsmäßigen Widerstandsmodus.
Mache es dir zur Gewohnheit, deinen mentalen und emotionalen Zustand durch Selbstbeobachtung zu überwachen. »Fühle ich mich in diesem Augenblick wohl?« Das ist eine gute Frage, die du dir oft stellen solltest. Oder du fragst dich: »Was geht in diesem Augenblick in mir vor?« Zeige mindestens ebenso viel Interesse an dem, was in deinem Innern vorgeht, wie an dem, was in der Außenwelt geschieht. Wenn dein Inneres stimmt, kommt auch das Äußere ins Lot. Die primäre Wirklichkeit ist innen, die sekundäre außen.
Stehst du unter Stress? Hast du es so eilig, die Zukunft zu erreichen, dass die Gegenwart dir nur noch als Mittel dient, dorthin zu kommen? Stress wird dadurch verursacht, dass du »hier« bist, während du eigentlich »dort« sein möchtest, dass du in der Gegenwart bist, dich jedoch nach der Zukunft sehnst. Das ist eine Spaltung, die dich innerlich zerreißt.
Machst du dir Sorgen? Denkst du oft: »Was wäre, wenn…?« Dann identifizierst du dich mit deinem Denken, und die erdachten Zukunftsprojektionen erregen in dir Angst. Mit einer solchen Situation kannst du nicht umgehen, weil sie gar nicht existiert. Sie ist ein gedankliches Phantom.
Warten ist eine Geisteshaltung. Es heißt eigentlich nichts anderes, als dass du die Zukunft ersehnst, während dir die Gegenwart nicht zusagt. Du bist nicht mit dem zufrieden, was du hast, sondern wünschst dir, was du nicht hast. Mit jeder Form des Wartens erzeugst du unbewusst einen Konflikt zwischen deinem Hier und Jetzt, an dem dir nichts liegt, und der erdachten Zukunft mit ihren Projektionen, die du ersehnst. Dadurch wird die Qualität deines Lebens stark herabgesetzt, denn die Gegenwart entgleitet dir.
Wenn du unzufrieden bist mit dem, was du hast, oder sogar frustriert und wütend bist, weil dir augenblicklich etwas fehlt, wird dich das vielleicht dazu motivieren, reich zu werden, aber selbst als Millionär wirst du weiterhin innerlich Mangel leiden und keine Erfüllung finden. Unter Umständen machst du zwar viele spannende Erfahrungen, die für Geld zu haben sind, aber sie kommen und gehen und hinterlassen bei dir stets ein Gefühl der Leere, sodass du dich physisch und psychisch mit etwas Neuem trösten musst. Du willst nicht im Sein verweilen und kannst daher auch nicht die Fülle des Lebens im jetzigen Augenblick genießen, die der einzig wahre Wohlstand ist.
Alles, was du über die unbewusste Vergangenheit in dir wissen musst, werden die Herausforderungen der Gegenwart ans Licht bringen. Wenn du dich in der Vergangenheit vergräbst, wird sie zum bodenlosen Abgrund: Immer mehr kommt hoch. Du denkst vielleicht, dass du mehr Zeit brauchst, um die Vergangenheit zu verstehen oder dich von ihr zu befreien, glaubst also, irgendwann durch die Zukunft von der Vergangenheit befreit zu werden. Das ist eine Täuschung. Nur die Gegenwart kann dich von der Vergangenheit befreien. Durch mehr Zeit wirst du nicht frei von Zeit.
Der überwiegende Teil menschlichen Schmerzes ist unnötig. Er ist selbst verursacht, solange du dein Leben vom unbeobachteten Verstand regieren lässt. Der Schmerz, den du jetzt erschaffst, ist immer eine Form des Nichtannehmenwollens, des unbewussten Widerstandes gegen das, was ist.
Auf gedanklicher Ebene äußert sich der Widerstand in Form von Beurteilung. Auf emotionaler Ebene äußert er sich als Negativität. Die Intensität des Schmerzes richtet sich nach dem Grad des Widerstandes gegen den gegenwärtigen Augenblick, und dieser wiederum hängt davon ab, wie stark du dich mit deinem Denken identifizierst. Das Denken versucht stets, das Jetzt zu leugnen und davor zu fliehen.
Mit anderen Worten: Je stärker du dich mit dem Denken identifizierst, umso mehr leidest du. Noch anders ausgedrückt: Je besser du in der Lage bist, das Jetzt anzuerkennen und zu würdigen, umso weniger Leid und Schmerz wirst du erfahren – und umso mehr wirst du dich vom Egogeist befreien.
Wichtiger ist es jedoch, dieses Wesen in dir selbst zu beobachten statt bei einem anderen Menschen.
Achte auf jedes Anzeichen von Missmut in dir, in welcher Form auch immer – das könnte der erwachende Schmerzkörper sein. Er kann sich als Gereiztheit, Ungeduld, oder schlechte Laune, als Wunsch, jemanden zu verletzen, als Ärger oder Wut, als Depression oder als Verlangen bemerkbar machen, aus deiner Beziehung ein Drama zu machen, usw. Schnapp ihn dir in dem Augenblick, in dem er aus seinem Schlaf erwacht.
Hat der Schmerzkörper dich erst einmal in der Hand, willst du mehr Schmerz. Dann wirst du entweder Opfer oder Täter und willst entweder Schmerz zufügen oder Schmerzen leiden, vielleicht auch beides. Im Grunde besteht gar kein großer Unterschied dazwischen. Dir ist das natürlich nicht bewusst, und du wirst nachdrücklich verkünden, dass du keinen Schmerz willst. Bei genauem Hinsehen wirst du jedoch feststellen, dass deine Denk- und Verhaltensweisen darauf angelegt sind, den Schmerz bei dir und anderen zu erhalten. Wenn du dir dessen wirklich bewusst wärst, würde sich dieses Muster auflösen, denn es ist Irrsinn, sich mehr Schmerz zu wünschen, und niemand wählt bewusst den Irrsinn.
Bleibe gegenwärtig, bleibe bewusst. Sei der stets wachsame Hüter deines inneren Raumes. Du musst so gegenwärtig sein, dass du den Schmerzkörper direkt anschauen und seine Energie spüren kannst. Dann kann er dein Denken nicht mehr beherrschen.
Wenn zum Beispiel Wut die vorherrschende energetische Schwingung des Schmerzkörpers ist und du wütend darüber nachdenkst, was jemand dir angetan hat oder was du selbst jemandem antun möchtest, dann wirst du unbewusst, und der Schmerzkörper wird zu »dir«. Hinter der Wut lauert immer der Schmerz.
Richte deine Aufmerksamkeit auf das Gefühl in dir. Erkenne, dass es sich um den Schmerzkörper handelt. Akzeptiere es, dass er da ist. Denk nicht darüber nach – lass das Gefühl nicht zum Gedanken werden. Werte und analysiere nicht. Mach deine Identität nicht daran fest. Bleibe gegenwärtig und beobachte weiterhin, was in dir geschieht. Werde dir nicht nur des emotionalen Schmerzes, sondern zugleich auch desjenigen bewusst, der ihn betrachtet, des stillen Beobachters. Das ist die Kraft des Jetzt, die Kraft deiner eigenen bewussten Gegenwärtigkeit. Und dann sieh, was geschieht.
Sobald du das Grundprinzip begriffen hast, dass du als Beobachter gewahr werden musst, was in dir geschieht – und du »begreifst« es, weil du es erlebst – , hältst du das beste Werkzeug zu deiner Verwandlung in Händen.
Beobachte deinen inneren Widerstand. Beobachte, wie du am Schmerz festhältst. Sei höchst wachsam. Beobachte die sonderbare Befriedigung, die dir das Unglücklichsein gibt. Beobachte das zwanghafte Bedürfnis, daran zu denken oder darüber zu sprechen. Der Widerstand wird nachlassen, wenn du ihn dir bewusst machst. Jetzt kannst du, während du als Zeuge gegenwärtig bleibst, deine Aufmerksamkeit auf den Schmerzkörper richten und so seine Umwandlung in Gang setzen.
Du machst andere Leute und das, was sie dir angetan haben, für deinen jetzigen Zustand, für deinen emotionalen Schmerz und deine Unfähigkeit, wirklich du selbst zu sein, verantwortlich.
Wenn du in deinen Beziehungen sowohl »Liebe« als auch deren Gegenteil – Angriffswut, emotionale Gewalt usw. – erlebst, verwechselst du höchstwahrscheinlich egoistisches Anklammern und Besitzergreifen mit Liebe. Du kannst deinen Partner oder deine Partnerin nicht den einen Augenblick lieben und im nächsten Augenblick angreifen. Wahre Liebe kennt kein Gegenteil.
Wenn es zu deiner Liebe ein Gegenteil gibt, dann ist es keine Liebe, sondern das starke Egoverlangen nach einem vollkommeneren, tieferen Selbstgefühl, ein Verlangen, das die andere Person vorübergehend erfüllt. Das ist der Ersatz des Egos für die Erlösung, und für eine kurze Zeit hast du auch fast das Gefühl, erlöst zu sein.
Aber irgendwann ist immer der Punkt erreicht, wo dein Partner deinen oder vielmehr den Bedürfnissen deines Egos nicht mehr gerecht wird. Jetzt kommen Gefühle wie Angst, Schmerz und Mangel wieder an die Oberfläche, alles wesentliche Bestandteile des Egobewusstseins, die nur von deiner »Liebesbeziehung« überdeckt wurden.
Wie bei jeder anderen Sucht auch bist du high , solange dir die Droge zur Verfügung steht, doch es kommt unweigerlich der Zeitpunkt, an dem die Droge keine Wirkung mehr zeigt. Wenn die schmerzhaften Gefühle wiederkehren, empfindest du sie noch stärker als zuvor, vor allem jedoch betrachtest du jetzt deinen Partner als die Ursache dieser Gefühle. Das heißt, du projizierst sie nach außen und greifst nun den anderen mit der brutalen Gewalt an, die Teil deines Schmerzes ist.
Jede Abhängigkeit oder Sucht entspringt einer unbewussten Weigerung, sich mit dem eigenen Schmerz auseinanderzusetzen und ihn durchzustehen. Jede Sucht beginnt mit Schmerz und endet mit Schmerz.
Darum gibt es, wenn die anfängliche Euphorie verflogen ist, so viel Kummer, so viel Schmerz in intimen Beziehungen. Sie verursachen diesen Schmerz und Kummer jedoch gar nicht. Sie fördern lediglich den Schmerz und den Kummer zutage, die bereits in dir sind. Jede Sucht tut das. Und bei jeder Sucht kommt ein Punkt, an dem die Droge nicht mehr wirksam ist; dann spürst du den Schmerz noch intensiver als je zuvor.
Dich selbst im Sein hinter dem Denker, in der Stille hinter dem Gedankenlärm, in der Liebe und Freude hinter dem Schmerz zu erkennen, das ist Freiheit, Erlösung, Erleuchtung
Sich von der Identifikation mit dem Schmerzkörper zu lösen bedeutet, den Schmerz mit Gegenwärtigkeit zu durchdringen und so zu verwandeln. Sich von der Identifikation mit dem Denken zu lösen bedeutet, stiller Beobachter der eigenen Gedanken und des eigenen Verhaltens zu sein, besonders der wiederkehrenden Denkmuster und der Rollen, die das Ego spielt. Wenn du aufhörst, das Denken als dein Selbst anzusehen, verliert es seine Zwanghaftigkeit, diesen grundsätzlichen Hang zum Urteilen und zum Widerstand gegen das, was ist, wodurch Konflikte, Dramen und neue Schmerzen entstehen. Sobald durch Akzeptieren dessen, was ist, das Urteilen aufhört, bist du frei vom Denken und hast endlich Raum für Liebe, Freude und Frieden.
Zuerst hörst du auf, dich selbst zu beurteilen; dann hörst du auf, deinen Partner oder deine Partnerin zu beurteilen. Der stärkste Katalysator für Veränderungen in einer Beziehung ist das totale Akzeptieren des Partners oder der Partnerin so, wie sie sind, ohne sie in irgendeiner Weise bewerten oder verändern zu wollen. Dadurch gehst du sofort über das Ego hinaus. Dann ist es vorbei mit allen mentalen Spielchen und suchthaftem Anklammern. Dann gibt es keine Opfer und Täter, keine Kläger und Beklagten mehr.
Da sich die Menschen mehr und mehr mit ihrem Denken identifizieren, wurzeln die meisten Beziehungen nicht im Sein; so verwandeln sie sich in eine Quelle der Schmerzen und werden von Problemen und Konflikten beherrscht. Wenn Beziehungen, wie es heute der Fall ist, Ego- Denkmuster nähren und verstärken und den Schmerzkörper aktivieren, warum akzeptieren wir diese Tatsache nicht einfach, statt davor zu fliehen? Warum arbeiten wir nicht damit, statt Beziehungen zu meiden oder weiterhin dem Phantom des idealen Partners für uns hinterherzujagen, der die Lösung all unserer Probleme sein und uns ein Gefühl der Erfüllung vermitteln soll? Sobald die Tatsache anerkannt und akzeptiert wird, stellt sich auch ein gewisses Maß an Freiheit von ihr ein.
Verweile jeden Augenblick im Wissen um den Augenblick, besonders im Wissen um deine innere Befindlichkeit. Wenn Wut da ist, sei dir bewusst, dass Wut da ist. Wenn Eifersucht, Abwehr, Streitlust, Rechthaberei, ein inneres Kind, das Liebe und Zuwendung fordert, oder emotionaler Schmerz irgendwelcher Art da sind, mach dir, was immer es auch sei, die Wirklichkeit dieses Augenblicks bewusst und verweile in diesem Wissen.
Wenn du dein Heil weiterhin in einer Beziehung suchst, wirst du immer wieder enttäuscht werden. Wenn du jedoch akzeptierst, dass Beziehungen dazu da sind, dich bewusster statt glücklich zu machen, wird die Beziehung dir Erlösung bieten und dir helfen, dich auf das höhere Bewusstsein auszurichten, das in diese Welt geboren werden möchte.
Wie viele Menschen sind nötig, um dein Leben in eine spirituelle Übung zu verwandeln? Mach dir nichts daraus, wenn dein Partner nicht mitspielt. Geistige Gesundheit – Bewusstheit – kann nur durch dich in diese Welt gelangen. Warte mit deiner Erleuchtung nicht darauf, dass die Welt endlich zur Vernunft kommt oder dass andere Bewusstheit erlangen. Da wartest du vielleicht bis in alle Ewigkeit.
Lerne deinen Gefühlen Ausdruck zu geben, ohne Schuldzuweisungen zu machen. Lerne, deinem Partner oder deiner Partnerin offen und ohne Abwehrhaltung zuzuhören. Gib deinem Partner Raum, sich auszudrücken. Sei gegenwärtig. Dann werden Beschuldigung, Verteidigung und Angriff – all die Muster, die das Ego schützen und stärken oder seine Bedürfnisse befriedigen sollen überflüssig. Anderen – und sich selbst – Raum zu geben ist von entscheidender Bedeutung. Ohne das kann keine Liebe erblühen.
Es ist also durchaus möglich, dass ein erleuchteter Mensch, dessen Verlangen nach dem männlichen oder weiblichen Gegenpol nicht erfüllt wird, an der Oberfläche seines Daseins ein Gefühl von Mangel oder Unvollständigkeit hat, während er gleichzeitig innerlich erfüllt, heil und mit sich im Frieden ist.
Aber brauchst du überhaupt eine Beziehung zu dir selbst? Warum bist du nicht einfach du selbst? Wenn du eine Beziehung zu dir selbst hast, bist du zweigeteilt: »ich« und »mein Selbst«, Subjekt und Objekt. Diese vom Denken geschaffene Dualität ist die Grundursache für all die unnötigen Komplikationen, Probleme und Konflikte in deinem Leben.
Im Zustand der Erleuchtung bist du du selbst – »du« und »dein Selbst« verschmelzen miteinander. Du beurteilst dich nicht und bedauerst dich nicht, du bist nicht stolz auf dich, du liebst dich nicht und hasst dich nicht usw. Die durch die Selbstreflexion des Bewusstseins bewirkte Spaltung ist beseitigt, ihr Fluch aufgehoben. Da ist kein »Selbst«, das du weiterhin nähren, schützen oder verteidigen müsstest.
Wenn du dich dem hingibst, was ist, und auf diese Weise vollkommen gegenwärtig bist, verliert die Vergangenheit all ihre Macht. Dann erschließt sich dir das Reich des Seins, das vom Denken bisher verborgen wurde. Plötzlich erfüllt dich eine tiefe Stille, ein grenzenloses Gefühl des Friedens. Und in diesem Frieden ist große Freude. Und in dieser Freude ist Liebe. Und in ihrem innersten Kern ist das Heilige, das Unermessliche, das Namenlose.
Ein bestimmter Umstand ist nicht mehr gegeben, und schon leidest du unter seiner Abwesenheit. Wenn sich ein Zustand oder eine Situation, an die sich der Verstand geheftet und mit denen er sich identifiziert hat, ändert oder in Luft auflöst, kann er es nicht akzeptieren. Er klammert sich an das Vergehende und widersetzt sich der Veränderung. Es ist fast so, als würde dir ein Arm oder Bein ausgerissen. Das bedeutet, dass dein Glück und dein Unglück im Grunde eins sind. Nur die Illusion der Zeit trennt sie voneinander.
Das Glück, das du aus irgendeiner anderen Quelle beziehst, ist nie sehr groß.
Innerer Widerstand wird stets als Negativität in der einen oder anderen Form erfahren. Negativität ist immer Widerstand.
Hast du dich erst einmal mit einer bestimmten Form von Negativität identifiziert, willst du nicht mehr davon ablassen, und auf einer tief unbewussten Ebene sträubst du dich gegen jede Veränderung zum Positiven. Dadurch würde nämlich deine Identität als deprimierter, zorniger oder übel behandelter Mensch gefährdet. Infolgedessen ignorierst, verleugnest oder sabotierst du lieber das Positive in deinem Leben. Das ist ein weit verbreitetes Phänomen. Und es ist der reine Irrsinn.
Wiederkehrende negative Emotionen enthalten manchmal, ebenso wie Krankheiten, eine Botschaft. Aber alle Veränderungen, die du durchführst, ob hinsichtlich deines Berufes, deiner Beziehungen oder deiner Umgebung, sind letztlich nur Schönheitskorrekturen, es sei denn, sie entspringen einer veränderten Bewusstseinsebene in dir. Und was dies betrifft, so kann es nur eins bedeuten: gegenwärtiger zu werden. Wenn du ein gewisses Maß an Gegenwärtigkeit erreicht hast, brauchst du nichts Negatives mehr, um zu wissen, was deine Lebensumstände gerade erfordern.
Nehmen wir einmal an, dass du still zu Hause sitzt. Plötzlich zerreißt das Schrillen der Alarmanlage eines Autos auf der anderen Straßenseite die Stille. Du bist gereizt. Welchen Sinn hat diese Gereiztheit? Überhaupt keinen. Warum hast du sie aufkommen lassen? Hast du gar nicht. Dein Denken hat es getan. Es war eine vollkommen automatische, völlig unbewusste Reaktion. Warum hat dein Denken sie aufkommen lassen? Weil es unbewusst der Überzeugung ist, dass sein Widerstand, den du als Negativität oder Unbehagen irgendeiner Art erlebst, die unerwünschte Situation schon irgendwie beenden wird. Das ist natürlich ein Trugschluss. Der Widerstand, den es erzeugt – in diesem Fall Gereiztheit oder Verärgerung – , ist viel störender als der ursprüngliche Anlass, dem er galt.
Jemand sagt etwas zu dir, das beleidigend ist und dich verletzen soll. Statt darauf unbewusst und negativ mit Gegenangriff, Abwehr oder Rückzug zu reagieren, lässt du es einfach durch dich hindurchgehen. Leiste keinen Widerstand. Es ist, als sei niemand mehr da, der verletzt werden könnte. Das ist Vergebung. Auf diese Weise wirst du unverwundbar. Du kannst der betreffenden Person trotzdem immer noch sagen, dass ihr Verhalten inakzeptabel ist, falls du das gerne möchtest. Derjenige hat jedoch nicht mehr die Macht, dein Innenleben zu beeinflussen. Du bist selber im Besitz der Macht, statt jemand anderem oder deinem Denken ausgeliefert zu sein. Der Widerstandsautomatismus ist immer der Gleiche, ob es sich um eine Autoalarmanlage, einen unhöflichen Mitmenschen, eine Überschwemmung, ein Erdbeben oder den Verlust deines gesamten Besitzes handelt.
Suche keinen Frieden. Gib dich mit dem Zustand zufrieden, in dem du dich gerade befindest, statt einen anderen herbeizusehnen; sonst sind innere Konflikte und unbewusster Widerstand vorprogrammiert. Vergib dir, dass du nicht im Frieden bist. In dem Augenblick, in dem du deinen Unfrieden rückhaltlos akzeptierst, wird er sich in Frieden verwandeln. Alles, was du voll und ganz akzeptierst, wird dich hinführen, wird dir zum Frieden verhelfen. Das ist das Wunder der vollkommenen Hingabe. Wenn du das annimmst, was ist, ist jeder Augenblick der Beste. Das ist Erleuchtung.
Wenn du über die erdachten Gegensätze hinausgewachsen bist, wirst du zu einem tiefen See. Deine äußeren Lebensumstände, das heißt alles, was dort geschieht, bilden die Oberfläche dieses Sees. Sie ist manchmal glatt und manchmal windbewegt, je nach dem Wechsel der Zeiten. Tief unten jedoch ist das Wasser des Sees immer vollkommen ruhig. Du bist der ganze See, nicht bloß die Oberfläche, und du bist mit deiner Tiefe in Berührung, die immer vollkommen still ist.
Hingabe schärft deinen Blick für das, was zu tun ist; du trittst in Aktion und konzentrierst dich immer nur auf eine Sache, erledigst eins nach dem anderen. Lerne von der Natur. Sieh, wie sich das Wunder des Lebens ohne Unzufriedenheit oder Trübsinn entfaltet und alles gelingt
Wenn du zu einer Person oder Situation »nein« sagst, sollte dein Nein nicht als Reaktion kommen, sondern deiner Einsicht entspringen, der klaren Erkenntnis dessen, was in diesem Augenblick für dich richtig oder unrichtig ist. Es sollte ein Nein sein, das ohne Reaktion ist, ein Nein von hoher Qualität, ein Nein ohne jede Negativität, das kein weiteres Leiden schafft.
Deine Beziehungen werden sich durch Hingabe tief greifend verändern. Wenn du das, was ist, nie akzeptieren kannst, heißt das nichts anderes, als dass du niemanden so annehmen kannst, wie er ist. Du wirst beurteilen, kritisieren, etikettieren, ablehnen oder versuchen, Leute zu ändern. Darüber hinaus wirst du, wenn du das Jetzt fortwährend als Mittel für einen zukünftigen Zweck gebrauchst, auch jeden Menschen, dem du begegnest oder mit dem du eine Beziehung eingehst, als Mittel zum Zweck ansehen. Die Beziehung – der Mensch – hat dann nur zweitrangige oder gar keine Bedeutung für dich. Wichtig ist nur, was du aus der Beziehung herausholen kannst, sei es materieller Gewinn, ein Machtgefühl, sinnliche Lust oder irgendeine andere Form von Egobefriedigung.
Wenn du in einen Streit oder eine Konfliktsituation mit deinem Partner oder jemandem, der dir nahe steht, hineingezogen wirst, solltest du einmal beobachten, wie sehr du dich verteidigst, sobald deine eigene Position angegriffen wird, und mit welcher Aggressivität du die Einstellung der anderen Person angreifst. Beobachte, wie du an deinen Ansichten und Auffassungen festhältst. Spüre die mental-emotionale Energie hinter deinem Verlangen, Recht zu behalten und den anderen Menschen ins Unrecht zu setzen. Das ist die Energie des Egogeistes. Du machst sie bewusst, indem du sie anerkennst und sie möglichst intensiv fühlst.
Widerstandslos zu sein heißt nicht unbedingt, untätig zu sein. Es heißt nur, dass dein Handeln nicht mehr auf bloßer Reaktion beruht. Denk einmal daran, welche tiefe Weisheit den ostasiatischen Kriegskünsten zugrunde liegt: Widersetze dich der gegnerischen Kraft nicht. Gib nach, um zu siegen. Demnach ist »Nichthandeln« im Zustand intensiver Gegenwärtigkeit ein kraftvoller Transformator und durch und durch heilsam für die Situation und die Betroffenen.
Wenn du krank oder behindert bist, solltest du nicht das Gefühl haben, in irgendeiner Weise versagt zu haben, und keine Schuldgefühle hegen. Wirf dem Leben nicht vor, dich ungerecht zu behandeln, aber mach auch dir selbst keine Vorwürfe. All das ist Widerstand. Wenn du eine schwere Krankheit hast, dann nutze sie zu deiner Erleuchtung. Alles »Unglück« in deinem Leben – nutze es zur Erleuchtung. Widme der Krankheit keine Zeit. Gesteh ihr weder Vergangenheit noch Zukunft zu. Lass dich von ihr zum intensiven, bewussten Erleben des gegenwärtigen Augenblicks bringen und sieh, was geschieht.
Wenn die äußeren Umstände unannehmbar für dich sind, dann nimm die inneren Umstände an. Das heißt: Leiste dem Schmerz keinen Widerstand. Lass ihn zu. Liefere dich dem Gram, der Verzweiflung, der Angst, der Einsamkeit oder der jeweiligen Form des Leidens ganz aus. Beobachte sie, ohne sie gedanklich einzuordnen. Umarme sie.
Du ziehst immer das an und manifestierst das, was deinem inneren Zustand entspricht.
Welche Wahl hast du schon, solange dein Denken mit seinen konditionierten Mustern dein Leben regiert und du dich damit identifizierst? Keine. Du bist nicht einmal da. Die Identifikation mit dem Denken sorgt für schwerste Störungen.
Du kannst weder dir noch anderen wahrhaft vergeben, solange du dein Selbstgefühl aus der Vergangenheit beziehst. Nur aus der Kraft des jetzt, die deine eigene Kraft ist, kann echte Vergebung entspringen. Dann verliert die Vergangenheit ihre Macht, und du erkennst im Innersten, dass nichts, was du je getan hast oder was dir je angetan wurde, auch nur im Mindesten deinen strahlenden Wesenskern berührt hat. Wenn du dich dem hingibst, was ist, und auf diese Weise vollkommen gegenwärtig bist, verliert die Vergangenheit all ihre Macht. Du brauchst sie nicht mehr. Gegenwärtigkeit ist der Schlüssel. Das Jetzt ist der Schlüssel.